Montag, 6. Oktober 2014

Cohen, der Dichter, eingedeutscht.

Rezension: Various Artists - Poem: Leonard Cohen in deutscher Sprache 
(Columbia/Sony Music)
 
Zwanzig Jahre dauerte es, bis der Übersetzer und Songschreiber Misha G. Schoenberg sein ambitioniertes Projekt verwirklichen konnte: Anfang der Neunziger hatte er noch darauf gehofft, die Songs von Leonard Cohen in deutscher Fassung von niemand Geringerem als RIO REISER interpretieren zu lassen. Nun ist „Poem“ tatsächlich erschienen, allerdings unter Mitwirkung von 17 Künstlern, die verschiedener nicht sein könnten. Und vielleicht ist es sogar gut so, dass es keine Reiser-singt-Cohen-Platte wurde: Auf diesem Album bestechen vor allem jene Interpreten, die sich selbst weit zurücknehmen und die Songs für sich stehen lassen.
Dadurch, dass der Fokus hier stark auf den Texten liegt, mehr als auf der musikalischen Umsetzung, bekommt dieses Album eine völlig andere Ausrichtung als frühere Cohen-Hommages wie beispielsweise die wegweisende Compilation „I’m Your Fan“, auf der REM oder Nick Cave vertreten waren und teilweise – wie John Cale bei „Hallelujah“ – Großes schufen.

Auf „Poem“ dominiert zunächst das klassische Liedermacher-Arrangement mit Gesang und Gitarre. Da freut man sich, wenn Cäthe bei „Lover Lover Lover“ mal mit ein bisschen mehr Druck zur Sache geht. Dass Cohen auf seinen ersten Alben konsequent auf Schlagzeug verzichtete, heißt schließlich nicht, dass das für jeden funktioniert. Zwar ist es explizit das Anliegen dieser Platte, einem deutschsprachigen Publikum zu vermitteln, dass Cohen eben nicht nur der Ladies’ Man mit „dieser“ Stimme ist, sondern in erster Linie ein sprachgewaltiger Dichter, aber hin und wieder merkt man: So gut die Texte auch sein mögen, der zärtlich-raue, kantige, unverkennbare Gesang war stets mehr als nur ein Transportmedium für seine Worte.

Dennoch: Cohens Texte sind ohne Frage großartig, und die Übersetzungen sind sehr gelungen. Und was die Musik betrifft, so wird bei dieser stilistischen Bandbreite vermutlich nicht jedem jeder Song gefallen. Es gibt ergreifende Gänsehautmomente auf diesem Album – allen voran Nina Hagen, die sich „Am dunklen Fluss“ („By The River Dark“) mit ungeahnter Würde nähert –, aber ebenso eine Reihe Titel, die man sofort weiterzappen möchte. Jan Plewka kommt bei „Küss mich, bis die Welt vergeht“ („Dance Me To The End Of Love“) Cohens eigenem Charme vielleicht am nächsten, ebenso wie Manfred Maurenbrecher bei „Hymne“ („Anthem“), und Anna Loos macht sich „Einer von uns muss sich irren“ („One Of Us Cannot Be Wrong“) so sehr zu eigen, dass auch das wieder gut funktioniert. Sehr gelungen auch die druckvolle Version von „Gerechtigkeit“ („Democracy“), die Fehlfarben hier abliefern, deren Punkwurzeln perfekt zum Text passen. Peter Maffay hingegen pfropft „Zuerst also Manhattan“ („First We Take Manhattan“) ungelenk seine typisch aufrechte Deutschrockigkeit auf, und Alin Coen und Joa Kuehn erinnern bei „Joan Of Arc“ vor allem wegen Coens gezierter Aussprache eher possierlich an die Bewusstseins-Liedermacher der Siebzigerjahre. Andererseits: Warum eben auch nicht. 

Der einzige Song, an dem man sich hier komplett verhoben hat, ist ausgerechnet Cohens wohl bekanntester Titel, „Hallelujah“, der in fürchterlicher Band-Aid-Manier von allen Beteiligten im Wechsel vorgetragen wird – da passt gar nichts zusammen, und darüber geht auch der Text unter. Ansonsten aber ist diese ehrgeizige Platte des Hörens – nein, des Zuhörens – alle mal wert. Wegen Cohen selbst, aber auch wegen der Vielfalt, die festgefahrene Hörgewohnheiten gelungen infrage stellt.