Montag, 4. August 2014

Europa geht durch mich

Rezension: Manic Street Preachers - Futurology
(Sony)
Das Zentrum der eigenen Futurologie haben die Manic Street Preachers in Europa angesiedelt, und das sicherlich nicht nur, weil das jüngste Album Futurology in den Berliner Hansa Studios aufgenommen wurde. Die Manics waren von je her eine Band, die sich mit der kleingeistigen Britishness vieler anderer Bands von der Insel nie anfreunden konnte und die sich zwar einerseits stark von den Waliser Wurzeln geprägt sah, aber andererseits wach und weltoffen Einflüsse von überall in sich aufsog, kritisch betrachtete und intelligent verarbeitete.
Dass sich die Manics diese Offenheit auch nach über zwanzig Jahren Bandgeschichte erhalten haben, ist vielleicht der Grund, weshalb sie auch mit Album Nummer 12 weder zur Nostalgietruppe verkommen, noch sich in Selbstzitaten üben. Auf Futurology trifft ein moderner, synthetischer Club-Groove auf Krautrock-Improvisationen, beides kongenial verankert auf dem typischen Bass-Gitarre-Schlagzeug-Gerüst und unverkennbar geprägt von James Dean Bradfields markanter Stimme. Dabei hätte diese ambitionierte Mischung auch schief gehen können: Die Manics spannen den stilistischen Bogen weiter den je und haben Songs kombiniert, die aus völlig unterschiedlichen Universen zu stammen scheinen. Da ist der Europop von „Europa geht durch mich“ (dessen kühl-klarer, deutscher Refrain von Nina Hoss beigesteuert wurde), das indie-rockige „Misguided Missile“, das vielleicht am ehesten eine kleine Rückbesinnung auf den Sound der frühen Jahre bietet, das reduzierte „The View From Stov Hill“, der kantige Rock von „Let’s Go To War“, dessen Anfangsmotiv tatsächlich Anklänge von Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ mitbringt, oder auch Instrumentalstücke, die sich durchaus beim treibenden, hypnotischen Sound von Neu! oder Popol Vuh zu bedienen scheinen.

Allen Songs ist jedoch eine Aufbruchsstimmung eigen, die Futurology erst einmal viel positiver erscheinen lässt, als die Texte beim genauen Zuhören rechtfertigen, und sie bekommt damit eine völlig andere Ausrichtung als die zeitgleich aufgenommene, nachdenkliche Rewind The Film aus dem letzten Jahr. Und so kritisch die Band – wie immer – mit sich und der Welt textlich ins Gericht geht, ein kleiner Hauch von Triumph geht den Songs schon vom ersten Track an voran: „We’ll come back one day, we never really went away“, heißt es im Titelsong „Futurology“, dessen Protagonisten als unsicherere Verfechter des Glaubens geschildert werden, die sich bei allen Selbstzweifeln doch weiter durchbeißen. Und weil die Manics so wenig vorhersehbar und rückbesinnend sind, ist „Walk Me To The Bridge“ dann eben auch keine Referenz an den angenommenen Freitod von Gitarrist Richey vor zwanzig Jahren, sondern nutzt die Metapher Brücke, um sich mit einem Zustand zwischen Welten, zwischen Entwicklungsphasen auseinanderzusetzen, als Bild für Übergang und Verbindung.
Der Puls dieser Platte geht schnell, ist aufgeregt, wissbegierig, läuft mit offenen Augen durch ein altes Europa voller neuer Ideen und Sounds, und dass sie sich ausgerechnet Phrasen wie „Sturm und Drang“ angeeignet haben, passt schön zu Futurology, das zwar ein Werk inzwischen gereifter Charaktere sein mag, aber drei kreative Geister verrät, die sich mit dem Erreichten nicht zufrieden geben, sondern bereit sind, sich zu hinterfragen und neue Wege zu betreten. Mutig, gelungen und keine Sekunde langweilig. Von wie vielen zwölften Alben renommierter Bands kann man das schon sagen?